Caritas befürchtet Finanzierungsstopp für Suizid-Prävention

"Das macht keinen Sinn"

Mehr als 9.000 Menschen nehmen sich in Deutschland pro Jahr das Leben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat daher eine Suizid-Präventionsstrategie vorgestellt. Endet dadurch aus finanziellen Gründen das "U25"-Angebot der Caritas?

Symbolbild Verzweifelte junge Frau / © simona pilolla 2 (shutterstock)
Symbolbild Verzweifelte junge Frau / © simona pilolla 2 ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Bessere Sicherungen von Brücken, kleinere Pillen-Packungen, eine zentrale Koordinierungsstelle sowie mehr Aufklärung und Forschung sollen laut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für weniger Suizide in Deutschland sorgen. Reichen diese Maßnahmen aus Ihrer Sicht aus? 

Diana Kotte (Bundeskoordinatorin beim Deutschen Caritasverband und zuständig für das Online-Beratungsangebot für suizidgefährdete Jugendliche "U25"): Erst mal bin ich froh, dass diese Maßnahmen überhaupt benannt werden. Die sind sehr wichtig. Sie reichen aber nicht aus. Wir brauchen auch eine Unterstützung der Telefon- und Onlineberatung, der niedrigschwelligen Angebote. 

Das sind häufig Projekte, die es zwar schon gibt, die aber noch im Projektstatus stecken. Das heißt, sie sind nicht auskömmlich finanziert und dafür ausgelegt, dass sie irgendwann enden.

Die Strategie sieht uns zwar auch als niedrigschwellige Angebote vor, lässt aber offen, wie wir finanziert werden sollen.

Hilfe bei Suizidgedanken

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, bei denen Sie – auch anonym – mit anderen Menschen über Ihre Gedanken sprechen können.

Das geht telefonisch, im Chat, per Mail oder persönlich.

Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz (dpa)
Die Angebote der Telefonseelsorge haben sich immer weiter spezialisiert / © Markus Scholz ( dpa )

DOMRADIO.DE: Gleichzeitig wurde ein Plan zur Umsetzung veröffentlicht. Wie sehr überzeugt Sie dieses Vorhaben?

Kotte: Diese Umsetzungsstrategie wurde gleichzeitig veröffentlicht. Das ist ein ganz spannender Ansatz. Da steht, man soll einen möglichst großen Effekt mit den begrenzten Ressourcen, die man hat, erreichen. Das macht für mich auch Sinn. 

Diana Kotte

"Das ist die Zielgruppe, bei denen Selbstmord die zweithäufigste Todesursache ist und auf die in diesem Umsetzungsplan leider überhaupt nicht geschaut wird."

Aber dieser Plan geht natürlich zuerst auf ältere Männer ein. Das ist die Zielgruppe, die sich am häufigsten suizidiert. Allerdings spart sie die Zielgruppe aus, für die wir da sind, die Menschen unter 25 Jahren. Das ist die Zielgruppe, bei denen Selbstmord die zweithäufigste Todesursache ist und auf die in diesem Umsetzungsplan leider überhaupt nicht geschaut wird.

DOMRADIO.DE: Statt Suizid zu verhindern, kümmert sich der Bundestag mit einer Liberalisierung von Sterbehilfe darum, ihn zu ermöglichen. Ist das nicht im ersten Moment widersprüchlich?

Kotte: Ja und nein. Es ist sicher erst mal widersprüchlich. Aber Ziel von Suizidprävention ist es nicht, alle Suizide auf Teufel komm raus, zu verhindern. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir erst mal über das Thema überhaupt sprechen, dass wir sprachfähig werden. 

Die Suizidbeihilfe ist natürlich ein Thema. Das ist aus meiner Sicht häufig ein Thema für Menschen in den letzten Lebensmonaten. Das ist aber ein anderes Thema. Das ist nicht Suizidprävention. Ich glaube, wie die Ärztin Dr. Ute Lewitzka am Donnerstag in der Pressekonferenz gesagt hat, macht es Sinn, erst über die Suizidprävention zu sprechen und sie an eine Gesetzlichkeit zu bringen und dann in einem zweiten Schritt nachgelagert über die anderen Themen zu reden.

DOMRADIO.DE: Ihr Online-Hilfsprojekt "U25" von der Caritas unterstützt Jugendliche, die als suizidgefährdet gelten. Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet bei solchen niederschwelligen Angeboten die staatlichen Fördergelder wegfallen? 

Diana Kotte

"Das Angebot ist nachgefragt, das Angebot ist wirksam. Dass unsere Finanzierung auf der Kippe steht, dürfte nicht sein."

Kotte: Das kann ich mir nicht erklären. Wir sind ein gut evaluiertes Angebot. Wir können sagen, dass wir wirksam sind. Wir können sagen, dass wir Nutzerzahlen haben, die wir zum Teil gar nicht bedienen können. Das Angebot ist nachgefragt, das Angebot ist wirksam. Dass unsere Finanzierung auf der Kippe steht, dürfte nicht sein.

DOMRADIO.DE: Sie meinten eben, dass die Fördergelder beziehungsweise die Subvention wegfallen sollen? Das heißt, die Jugendlichen werden im Prinzip gar nicht berücksichtigt?

Kotte: Genau, sie sind nicht berücksichtigt und die Förderung von unserem Projekt endet zum Ende dieses Jahres. Es macht keinen Sinn, dass wir nicht weiter gefördert werden. Es macht keinen Sinn, dass die Bundesregierung hier nicht zugreift. Aber im Moment haben wir noch keine Aussicht auf eine Weiterfinanzierung. 

DOMRADIO.DE: Was machen Sie dann ab nächstem Jahr?

Kotte: Wahrscheinlich müssen einige von unseren elf Standorten schließen. Ein paar andere Standorte haben noch eine lokale Finanzierung, haben noch zweite Finanzierungswege, die aber sehr gering ausfallen. Das heißt, den Umfang, den wir im Moment haben, von etwa 1.500 Klienten im Jahr, die wir beraten können, werden wir nicht halten können. Das wird stark verringert werden.

DOMRADIO.DE: Wie groß ist das Tabuthema Suizid in der Gesellschaft? Muss mehr über Selbstmorde gesprochen werden? 

Diana Kotte

"Da muss auf jeden Fall mehr über psychische Gesundheit gesprochen werden, mehr über Suizidgedanken, über Depressionen. Wir müssen das aus diesem Tabu herausziehen."

Kotte: Da muss auf jeden Fall mehr über psychische Gesundheit gesprochen werden, mehr über Suizidgedanken, über Depressionen. Wir müssen das aus diesem Tabu herausziehen. Ich merke, dass es bei der jungen Generation eher leicht ist darüber zu sprechen. Aber je älter die Menschen werden, desto mehr Distanz ist zu diesem Thema da. Teilweise herrscht die Einstellung, damit habe man nichts zu tun. 

Von jedem Suizid sind in etwa 150 Menschen sekundär betroffen. Das heißt, eigentlich hat jeder irgendwie schon mal was mit Suizid und Suizidgedanken zu tun gehabt. Wir müssen als Gesellschaft sprachfähiger werden.

DOMRADIO.DE: Wie gelingt das?

Kotte: Das gelingt, indem wir unsere eigene Angst abbauen und Gedanken zulassen können. Es ist auch in Ordnung, wenn Menschen psychische Probleme haben. Die Vorverurteilungen können wir außen vor lassen. Dann können wir in kleinen Schritten etwas auf dieses Thema zugehen, indem wir einfach wieder miteinander mehr sprechen und ehrlich darüber reden, wie es uns geht.

Das Interview führte Tim Helssen. 

Quelle:
DR